Der sonnige Duft, Semptemberluft, <br />sie wehten ein Mücklein mir aufs Buch. <br />Das suchte sich die Ruhegruft <br />und fern vom Wald sein Leichentuch. <br />Vier Flügelein von Seiden fein <br />trug's auf dem Rücken zart, <br />drin man im Regenbogenschein <br />spielendes Licht gewahrt! <br />Hellgrün das schlanke Leibchen war, <br />hellgrün der Füßchen dreifach Paar, <br />und auf dem Köpfchen wundersam <br />saß ein Federbüschchen stramm; <br />die Äuglein wie ein goldnes Erz <br />glänzten mir in das tiefste Herz. <br />Dies zierliche und manierliche Wesen <br />hatt' sich zu Gruft und Leichentuch <br />das glänzende Papier erlesen, <br />darin ich las, ein dichterliches Buch; <br />so ließ den Band ich aufgeschlagen <br />und sah erstaunt dem Sterben zu, <br />wie langsam, langsam ohne Klagen <br />das Tierlein kam zu seiner Ruh. <br />Drei Tage ging es müd und matt <br />umher auf dem Papiere; <br />die Flügelein von Seide fein, <br />sie glänzten alle viere. <br />Am vierten Tage stand es still <br />gerade auf dem Wörtlein 'will'! <br />Gar tapfer stand's auf selbem Raum, <br />hob je ein Füßchen wie im Traum; <br />am fünften Tage legt' es sich, <br />doch noch am sechsten regt' es sich; <br />am siebten endlich siegt' der Tod, <br />da war zu Ende seine Not. <br />Nun ruht im Buch sein leicht Gebein, <br />mög' uns sein Frieden eigen sein!<br /><br />Gottfried Keller<br /><br />http://www.poemhunter.com/poem/die-kleine-passion/
