Reinhard Mey - In diesem, unsrem Lande 1988 <br /> <br />Jedesmal, wenn ich die Zeitung aufschlag', <br />Haben die Damen und Herren im Bundestag <br />Sich schon wieder mal die Diäten erhöht, <br />Und ich spür', wie ich für sie vor Scham erröt'! <br />Ich seh' Familien, wo es vorn und hinten nicht reicht, <br />Seh' Opa Bölke, dem man cool das Taschengeld streicht, <br />Mir gehn die Bilder von Armut nicht aus dem Sinn, <br />Aber die Damen und Herren langen erst mal kräftig hin! <br />Ist das nicht eine Schande, in diesem, unsrem Lande! <br /> <br />In der Tagesschau zeigt man uns ein Staatsbankett: <br />Alle hab'n Übergewicht, und alle sind zu fett. <br />Doch das gleicht sich wieder aus, denn wie man auch erfährt, <br />Sind in unserm eigenen Lande Menschen unterernährt. <br />Wir hab'n 'nen Butterberg, und auch 'nen Milchsee ha'm wir schon, <br />Und eine Schweinelawine überrollt die Nation, <br />Mit der Überschussvernichtung ha'm wir unsre liebe Not, <br />Und Opa Bölke hat nicht mal die Margarine fürs Brot. <br />Ist das nicht eine Schande, in diesem, unsrem Lande! <br /> <br />Am Flugplatz Bonn steht eine ganze Flotte parat, <br />Die nichts als nur Polittouristen rumzufliegen hat. <br />Kein Anlass ist zu nichtig, keine Entfernung zu klein, <br />Und statt zu Fuss zu gehn, muss es ein Hubschrauber sein. <br />Für eine Stunde Bonzenjet bekommt man nebenbei <br />Für dreissig Kinder drei Wochen Ferien auf Norderney. <br />Und alle naselang düst ein Hanswurst nach irgendwo, <br />Und Opa Bölke streicht man den Seniorenausflug in den Zoo! <br />Ist das nicht eine Schande, in diesem, unsrem Lande! <br /> <br />Denk' ich an Deutschland in der Nacht, <br />Dann hör' ich wie's Silvester knallt und kracht. <br />Opa Bölke ist jedesmal zu Tode erschreckt, <br />Sein Bedarf an Knallerei ist in zwei Weltkriegen gedeckt. <br />Und für das Geld, das man beim letztenmal verballert hat <br />Kriegst du eine Million Menschen ein Jahr lang satt! <br />Da kann die Welt verhungern und in Trümmer fall'n, <br />Das ist uns scheissegal, wir wollen weiterknall'n! <br />Ist das nicht eine Schande in diesem, unsrem Lande! <br /> <br />Lumpige 50 Milliarden kostet uns das Militär, <br />Die spar'n wir uns vom Munde ab, die geb'n wir locker her! <br />die Armee soll leben in Saus und Braus, <br />Dafür schliessen wir auch gerne mal ein Krankenhaus. <br />Selbst Opa Bölke verzichtet aufs Sterben, weil man <br />Für sein Sterbegeld dann noch mehr Waffen kaufen kann. <br />Wir streichen Schul'n und Kindergärten für den guten Zweck, <br />Nur bitte, bitte, nehmt uns unser Lieblingsspielzeug nicht weg! <br />Ist das nicht eine Schande, in diesem, unsrem Lande! <br /> <br />Manchmal denk' ich, ich wand're in die Südsee aus, <br />Doch es gibt kein Entkommen, hier bin ich zu Haus, <br />Nirgends wär' ich mehr als hier ein freier Mann, <br />Nirgends, wo ich mich so grün, gelb, rot und schwarz ärgern kann, <br />Hier leben Freunde, die ich zum Leben brauch', <br />Und die brauchen meine Stimme als Wähler vielleicht auch, <br />Und weil ich Opa Bölke doch nicht so allein lassen kann, <br />Und schliesslich häng' ich irgendwie ja doch daran, <br />Das gesteh' ich am Rande – an diesem, unsrem Lande! <br />An diesem, unsrem Lande!
